2.3.6. Befahrung
Auf dem Wege von Goodspring nach Keffer fällt mir eine
kleine von LKW-Reifen tief zerfurchte Schotterstraße auf,
der ich neugierig folge. Nach kurzer Fahrt stehe ich
inmitten von Grubenholzstapeln, Kohlehalden und alten
Maschinen vor einer für hiesige Verhältnisse schon modern
anmutenden Grubenanlage.
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Jeff Coal Co. |
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USA, Pennsylvania |
Goodspring-Keffer |
1992-06-02 |
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Der Arbeiter, der dort mit einem Bulldozer Abraum beiseite schafft,
entpuppt sich als der Besitzer der Grube, die mit ihren 20 Mitarbeitern
schon zu den 'Großbetrieben' der Region zählt.
"Ob ich denn einmal einfahren möchte" will er wissen.
Klar will ich! Meine Sicherheitsbedenken sind schnell zerstreut,
denn die Anlage macht einen vertrauenerweckenden Eindruck.
Das Fördergerüst ist hier immerhin schon aus Stahl,
und als Antrieb dient eine ehemalige Schiffswinde.
Mit Hilfe eines Bügels ist ein stählerner Kasten,
einem Skip ähnlich, so mit dem Förderseil verbunden, daß er
im oberen Punkt gekippt und die Ladung in einen Bunker
entleert wird.
Aus dem amerikanischen Ausdruck für diese Vorrichtung, '
tipping device', leitet sich die
Bezeichnung der Kleingruben als 'tipples' ab.
Wir besteigen besagten Skip und gleiten auf stählernen Schienen
langsam in den Schrägschacht hinab.
In einer Tiefe von etwa 100 m ist die Fahrt zu Ende,
und ich bin erstaunt über die Größe des Grubengebäudes.
Zum Entladen der Wagen hat man hier
immerhin einen zweigleisigen 'Bahnhof' angelegt.
Von den Gleisen ist allerdings kaum etwas zu sehen,
da das Wasser hier knöcheltief steht.
Gottseidank hat man mir vor der Einfahrt Gummistiefel verpasst,
so, daß ich mich nun wie ein richtiger 'boot legger' fühle
und die Füße trocken bleiben.
"Wasser ist hier ein Problem" wird mir erklärt.
Dagegen ist die Gefahr durch Gase (schlagende Wetter) eher gering.
In manchen Gruben soll sogar geraucht werden, was
natürlich strikt verboten ist.
Ich habe das Gefühl, daß die Leute hier im Umgang mit Verboten
so ihre eigenen Vorstellungen haben.
Sie verlassen sich lieber auf ihre Erfahrung und ihren gesunden
Menschenverstand.
Durch einen geräumigen Streb folge ich dem Arbeiter.
"Die Flöze sind hier oft mehrere Meter mächtig,
und die Kohle ist von außergewöhnlich guter Qualität" sagt
er und kann kaum glauben, daß Steinkohle-Bergbau in Europa ein
hochsubventioniertes Verlustgeschäft ist.
Irgendwann geht es über eine Reihe von Leitern durch
enge Schächte hindurch nach oben, und ich muss aufpassen,
daß ich nicht an vorspringenden Holzstempeln hängenbleibe.
Immer wieder fallen kleine Steinchen herab und ich verstehe schnell
den Sinn des zunächst etwas lästig erscheinenden Schutzhelms.
Obwohl die Arbeit für heute ruht ist die Luft ist noch erfüllt
vom Dunst der Sprengungen.
Frisch gewonnene Kohlebrocken glänzen im Licht der Lampen.
Von irgendwo hört man das Zischen einer undichten Preßluftleitung,
eines der wenigen Zeichen von Mechanisierung in dieser Grube.
Durch ein Gewirr von Schächten und Stollen geht es zurück zum
Hauptschacht und nach wenigen Minuten empfängt uns wieder Tageslicht.
In einem Schuppen, der als Waschkaue dient -
fast schon ein Luxus für einen 'bootleg miner' -
entledige ich mich der nassen Kleidung und komme mit den
Arbeitern in's Gepräch, die ihre Schicht beendet haben
und noch ein wenig in gemütlicher Runde zusammensitzen.
Die Arbeit sei schwer und manchmal auch gefährlich,
aber den ganzen Tag lang im Büro sitzen,
nein, das könne man sich nicht vorstellen.
Mit den Worten "Morgen früh um sechs?" und einem kräftigen
Händedruck verabschiedet sich der Chef von mir,
und ich frage mich noch lange, wie ernst diese
Frage wohl gemeint war.